VISA vor EU-Verfahren?


Rund 36 Prozent aller im EWR ausgegebenen Zahlungskarten sind Kredit- und Debitkarten von Visa, das im EWR über das größte Akzeptanznetz verfügt. Visa-Zahlungskarten werden im EWR von mehr als 5 Mio. Händlern akzeptiert. 2006 wurden im EWR insgesamt 27 Mrd. Transaktionen im Wert von 1.600 Mrd. EUR mit Zahlungskarten vorgenommen.

Die Europäische Kommission hat Visa am 3. April 2009 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt: Darin vertritt sie den Standpunkt, dass die direkt von Visa festgesetzten multilateralen Interbankenentgelte (MIF) für die Annahme von Privatkunden-Zahlungskarten den Wettbewerb zwischen Banken behindern, ohne dass sie den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt fördern und damit den Verbrauchern zugutekommen. MIF sind für die Händler ein wesentlicher Teil der Gesamtkosten bei der Annahme von Visa-Zahlungskarten von Privatkunden. Durch die MIF wird faktisch ein Mindestpreis für die Händler vorgegeben. Nach vorläufiger Einschätzung der Kommission verstößt dieses Verhalten gegen die europäischen Kartellvorschriften (Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen).

Mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte setzt die Kommission die Beteiligten in Kartellverfahren auf schriftlichem Wege förmlich davon in Kenntnis, welche Vorwürfe gegen sie erhoben werden. Empfänger einer solchen Mitteilung können schriftlich antworten und alle ihnen bekannten, für ihre Verteidigung relevanten Fakten darlegen. Sie können ferner eine mündliche Anhörung beantragen, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Die Kommission kann daraufhin entscheiden, ob die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegte Verhaltensweise mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar ist oder nicht. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte greift dem Ergebnis des Verfahrens also nicht vor.

Nach einer von Amts wegen eingeleiteten Untersuchung und dem Auslaufen der 2002 erlassenen Freistellungsentscheidung für Visa Ende 2007 leitete die Kommission im März 2008 ein förmliches Verfahren gegen das Unternehmen ein. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte wird die Rolle der MIF in reifen Zahlungskartensystemen wettbewerbsrechtlich beurteilt. Eine ähnliche Beurteilung hatte die Kommission bereits im Dezember 2007 in ihrer Negativentscheidung zu MasterCard vorgenommen.

Die Mitteilung der Beschwerdepunkte betrifft sämtliche multilateralen Interbankenentgelte, die Visa im EWR für Transaktionen mit Privatkunden-Zahlungskarten an einer Verkaufsstelle (einem sogenannten Point of Sale, kurz POS) direkt festsetzt. Diese MIF gelten derzeit für alle grenzüberschreitenden Transaktionen im EWR sowie für inländische Transaktionen in neun EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Schweden und Ungarn). In den anderen Mitgliedstaaten werden die MIF für inländische POS-Transaktionen mit Visa-Zahlungskarten auf nationaler Ebene durch Gruppen von Banken oder bilateral zwischen Banken festgesetzt. Diese Interbankenentgelte werden von den Händlerbanken für POS-Transaktionen mit Privatkunden-Zahlungskarten von Visa an die Banken der Karteninhaber gezahlt.

In der Mitteilung der Beschwerdepunkte kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die MIF von Visa den Wettbewerb zwischen den Händlerbanken beeinträchtigen, die Kosten der Händler für die Annahme von Zahlungskarten in die Höhe treiben und letztlich zu einer Kostensteigerung für die Verbraucher führen.

MIF sind nicht als solche rechtswidrig. In einem offenen Zahlungskartensystem wie dem System von Visa sind sie jedoch nur dann mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar, wenn sie zum technischen und wirtschaftlichen Fortschritt beitragen und den Verbrauchern zugutekommen.

Die Kommission geht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte noch auf weitere Regeln und Praktiken von Visa ein, die den Spielraum der Händler beim Kostenmanagement einengen und dadurch den wettbewerbsbeschränkenden Charakter der MIF verstärken könnten. Dazu gehören die Verpflichtung zur Annahme aller Karten, das Verbot der Erhebung von Aufschlägen und die Zusammenfassung von Händlergebühren (sogenanntes Blending).

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